http://www.youtube.com/watch?v=jOolAfjv3xg
Aufgrund dieser Talkrunde, die mich in vielerlei Hinsicht geärgert hat, muss ich auf diesem meinem Medium, dass der Welt offen steht und meines Wissens nach ja auch Weltweit gelesen und beachtet wird, einmal für Sido und Bushido in die Bresche springen. Eigentlich muss ichs nicht. Aber manchmal kann ich nicht ertragen wie dumm und abwertend die deutschen Medien mit Ihrem "Futter" umgehen.
Vorab: Ich verachte Markus Lanz. Wenn er derjenige ist, der seine Karten für dieses Talkformat schreibt, dann ist wirklich jedes Niveau für das öffentlich-rechtliche Fernsehen längst verloren.
Kommen wir nun aber zu eben dieser Sendung. In Minute 37 bezeichnet Lanz die Aussage von Sido als "billig".
"Billig", Herr Lanz, ist Ihre Sendung.
Aber ich fange vorne an.
Gäste sind, wie jeder sehen kann, Peter Maffay, Paul Würdig,Anis Ferchichi, Richard David Precht und Gabi Decker.
Thema der Sendung sollte eigentlich das neue Musikprojekt von Maffay, Sido und Bushido sein. Ich nenne hier ganz bewusst die bürgerlichen Namen der beiden als Gäste, die Künstlernamen aber für das Musikprojekt. Denn genau so ist es.
Statt über das neue Musikprojekt zu sprechen, greift Lanz forsch Ferchichi an. Kritisiert seine Texte. Kritisiert den Erhalt seines Bambis für Integration. Und unterstellt ihm im Laufe des Interviews sehr flach und ohne jeden Gehalt Schwulenfeindlichkeit, Frauenfeindlichkeit, Gewaltverherrlichung...etc.
Die Gäste Precht und Decker steigen auf den Zug auf, Decker im speziellen ohne jeden Grund oder irgendeinen Auslöser. Es wirkt eher, als hätte sie Angst, in der Runde unterzugehen. Sie war ja von Anfang an eher still.
Lanz möchte nicht von dem Thema abweichen (Minute 30ff ganz spannend) und lässt meinen Glauben in die Intelligenz seiner Person gänzlich schwinden.
In der Germanistik - speziell in der Lyrikanalyse- gibt es den Begriff des Lyrischen Ichs.
Vielleicht lehne ich mich zu weit aus dem Fenster, aber ich empfinde sich reimende Texte eines Deutschen Raps durchaus zugehörig zur Familie der Gedichte.
Das Lyrische Ich zeichnet sich dadurch aus, dass - auch wenn von "Ich" in einem Gedicht die Rede ist - nicht der Autor, Dichter, Verfasser des Gedichts mit diesem Ich gemeint ist, sondern eben eine fiktive Instanz, innewohnend im Gedicht, erschaffen vom Dichter.
Natürlich hat Goethe keine Lyrischen Ich´s geschaffen, die andere als "schwul" oder "hässlich" bezeichneten. Aber damals war das größtmögliche Aufsehen eben auch mit "er möge mich am Arsche lecken" zu bewirken. Drüber gings nicht.
In den 1940er Jahren waren antisemitische Symbole von berühmten und vielverkauften Malern zu sehen. Kunst passt sich der Wirklichkeit an. Ob es objektiv betrachtet eine falsche Weltanschauung als Einfluss hat, ist ja erstmal dahin gestellt.
In unserer derzeitigen Lebenswirklichkeit gucken 11 Jährige Pornos, 8 Jährige zocken Call of Duty und ne 14 Jährige plant ihre Brust- OP. Das ist unsere Wirklichkeit. Und daran passt sich die Kunst an.
Und genauso ist es doch auch in der Musik. Wenn Bushido darüber rappt, auf Claudia Roth zu schießen, darüber rappt, dass schwul sein etwas verwerfliches ist oder darüber rappt, mit dicken Autos über die Autobahn zu rasen - wer ist dann wirklich so dumm, zu glauben, dass Herr Ferchichi in seinem Ferrari mit drei Nutten auf der Rückbank durch Berlin rast und dabei nen Joint in der Hand hält?
Doch darum geht es nicht mal. Es geht darum, dass wir in der heutigen Lebenswirklichkeit Kunst nicht mehr als eigenständiges Medium betrachten, sondern den Künstler für das, was er produziert, verantwortlich machen wollen. Vielleicht ist das in erster Linie der Versuch, einen Verursacher für unsere katastrophalen gesellschaftlichen Zustände zu finden. Statt die Eltern anzuklagen, die Ihren Kindern kein Vorbild mehr sind oder das Schulsystem zu kritisieren, das Kindern keine Chancen bietet, ist es einfacher, Videospiele oder Musiker an den Pranger zu stellen. Um deutlich zu machen: Wir suchen die Ursachen und bekämpfen sie. Aber Künstler sind niemals Ursache. Künstler sind Produkt.
Ohne die Industrielle Revolution hätte es keine Literatur über die Angst der Menschen vor Maschinen gegeben. Ohne den 2. Weltkrieg keine politischen Karikaturen von George Grosz und ohne diese sozial verfallene Wirklichkeit, in der wir uns gerade befinden, gäbe es auch keine Musik mit solchen Texten.
Ferchichi hat das Schimpfwort "Schwuchtel" nicht erfunden. Er benutzt es für seine Figur Bushido um das wieder zu spiegeln, was jedes Kind täglich auf dem Schulhof erlebt. Wenn die Tochter von Frau Decker - keine Ahnung ob sie überhaupt Kinder hat - Bushido hören wollen würde, wäre ihr das sicher untersagt. Wenn sie jedoch mit dem amerikanischen Hip Hopper Akon um die Ecke kommt, der so coole tanzbare Musik macht, seine Frauen im Video aber leider als "Schlampen" bezeichnet- dann wäre das mit Sicherheit ok. Weil sie es gar nicht merken würde. Weil die Reflektion solcher Aufreger nicht weiter als von der Tapete zur Wand reicht. Bestes Beispiel hierfür Minute 32:40. Wenn die Argumente ausgehen, die keine sind, klammert sich Frau Decker sehr verzweifelt an den Versuch, einen TV Auftritt von Sido mit der Frauenfeindlichkeitsthese der vorangehenden Minuten zu stützen. In der Hoffnung, dass niemand im Publikum weiß, was in dieser Show vorgefallen ist.
Was in dieser Show vorgefallen ist, kann man sich gerne bei Youtube ansehen. Aber klar ist: Dort ist das passiert, was täglich bei DSDS, Super Talent und den diversen anderen Talentshows zu sehen ist: Sido hat einen Kandidaten, der Motorengeräusche imitiert hat, vor offenem Publikum bloß gestellt. Er hat ihn weder beschimpft noch andere abwertende Begriffe benutzt, um dies zu tun, er hat nur - genau wie ein Dieter Bohlen - offen gesagt, wie "scheiße" sein Beitrag ist.
Greifen wir also wirklich einen Paul Würdig an, der als Musiker in einer Jury eines Talentformates sitzt, weil er im Jahr 2013 einen Kandidaten bzw. seinen Beitrag als "scheiße" bezeichnet?
Wer setzt sich dann bitte dafür ein, das Dieter Bohlen, Oliver Pocher oder Mario Barth nicht mehr ausgestrahlt werden?
Künstler haben keine Verantwortung für die Interpretation ihrer Produkte. Das hatte noch nie ein Künstler für sein Produkt. Ob es eine Interpretation von einem Werk der bildenden Kunst ist, ein Musikstück oder eine Installation. Und Gewaltverherrlichung oder Darstellung von Gewalt ist doch auch nichts Neues. Wenn ich einen Blick auf Caravaggios Medusa werfe, sehe ich deutlich einen Kopf, der gerade vom Körper getrennt wurde. Das Blut spritzt.
Und Bushido darf nicht "auf Claudia Roth schießen"?
Kunst ist Kunst. Mag jeder von Ihr halten was er möchte. Mag doch auch jeder hören was er möchte. Aber bitte möchte doch jeder aufhören, Künstler für ihre Kunst zur Verantwortung zu ziehen.
Danke.
P.S: Eben erst beim zweiten Mal lesen gemerkt, wie passend meine Überschrift ist. Ich breche eine LANZe. Haha. Lanz.
Mega.